Iran
Von Jürgen Todenhöfer
Junge Frauen im Iran: einem Land, in dem
Lippenstift und Kopftuch-Styling eine Art Protest gegen die Regime-Regeln ist
Foto: REUTERS
Teheran –
Der Iran ist ganz anders, als das Bild,
das westliche Politiker von dem Land verbreiten. Unser Autor würde einige von
ihnen am liebsten einmal mit auf seine Reisen durch das Land nehmen.
Wie gerne würde ich einige unserer westlichen
Politiker einmal in den Iran mitnehmen. Um ihnen zu zeigen, dass dieses Land so
ganz anders ist, als sie es ihren Wählern erzählen. Ich würde sie in eine der
christlichen Kirchen oder eine der Synagogen Teherans begleiten. Und in jenes
berühmte jüdische Sapir-Hospital, wo sie Ciamak Moresadegh kennenlernen würden, den liebenswürdigen, klugen
Direktor des Krankenhauses.
Moresadegh ist auf vieles stolz. Darauf, dass 80 Prozent seiner
Patienten Muslime sind, die für ihre Behandlung nur wenig oder gar nichts
bezahlen müssen. Und darauf, dass er Jude und Iraner ist. Wie 20.000 weitere Juden, deren Familien seit über zweieinhalbtausend Jahren hier
leben.
Moresadegh, der die Juden als Abgeordneter auch im Parlament
vertritt, würde mit seinen Besuchern gerne über Religionsfreiheit im Iran
sprechen. Über die jüdischen Schulen und Kindergärten in Teheran, die koscheren
Restaurants und darüber, dass der iranische Staat sein Krankenhaus jährlich mit
einer Million Dollar unterstützt.
Zur Person
Jürgen Todenhöfer, Jahrgang 1940, war von 1972 bis 1990
Bundestagsabgeordneter der CDU. In seiner Fraktion war er zunächst
entwicklungspolitischer, später rüstungskontrollpolitischer Sprecher.
Anschließend wechselte er zum Burda-Konzern, wo er bis 2008 tätig war.
Seit 1980 besuchte Todenhöfer
wiederholt Kriegs- und Krisengebiete in der islamischen Welt, so Afghanistan
und den Irak, Libyen, Syrien und zuletzt den Iran. Er ist Autor des Buches
„Feindbild Islam – Zehn Thesen gegen den Hass“.
Er würde versuchen zu erklären, dass es
im Iran trotz antizionistischer Politik nie jenen grauenvollen, staatlich
organisierten Antisemitismus gegeben hat wie in Deutschland oder Europa.
„Antisemitismus ist kein islamisches, sondern ein europäisches Phänomen“, würde
er leise sagen.
Systematische Lügen
Moresadgh ist wie alle Iraner an den kriegerischen Alarmismus gewöhnt, mit dem die Nuklearpläne seines Landes
immer wieder in die Schlagzeilen der Weltpresse gepeitscht werden. Schon 1993
behauptete der heutige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der
Iran werde in drei bis fünf Jahren eine Nuklearwaffe besitzen. 1995 zitierte
die New York Times israelische und amerikanische Regierungsstellen mit der
Feststellung, der Iran werde die Bombe im Jahr 2000 haben. 1998 erläuterte Donald
Rumsfeld, der drei Jahre später wieder US-Verteidigungsminister werden sollte,
dem Kongress, 2003 könne eine iranische Interkontinentalrakete die USA
erreichen. Und 2003 berichtete der Spiegel, der Iran stehe „offenbar kurz vor
dem Bau der Atombombe“. Wie vor dem Irakkrieg wird auch im Irankonflikt
systematisch gelogen.
Präsidentschaftskandidat John McCain
sang 2007 auf einer Parteiveranstaltung der Republikaner fröhlich: „Bomb, bomb,
bomb Iran“ – lasst uns endlich den Iran bombardieren. Und Barack Obamas
Herausforderer Mitt Romney, der den Iran für eine
„zum Völkermord neigende Nation“ und die „größte Bedrohung seit den Nazis und
den Sowjets“ hält, erklärte am 5. März 2012: „Entweder verstehen die Ajatollahs
unsere Botschaft, oder sie werden einige sehr schmerzhafte Lektionen
amerikanischer Entschlossenheit erhalten.“
Netanjahu wollte da nicht zurückstehen.
Gefragt, wann Israel angreifen werde, antwortete er, er arbeite „nicht mit der
Stoppuhr“. Es handle sich nicht um „Tage oder Wochen, aber auch nicht mehr um
Jahre“. Der Iran wolle „im Namen einer Herrenreligion Millionen Juden
vernichten“. Er sei der „größte Terrorstaat der Welt“.
Am 16. April, jenem Tag, an dem
Netanjahu den Iran als „weltgrößten Terrorstaat“ bezeichnete, landete ich zu
meiner vierten Iranreise in Teheran. Mein Sohn Frédéric begleitete mich. Ihm
erging es wie den meisten westlichen Iranreisenden. Nach zwei Tagen rieb er
sich nur noch die Augen. Der einzige „Extremismus“, dem wir begegneten, war die
extreme Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft aller Iraner, die wir trafen. Ihre
Liebenswürdigkeit war fast beschämend. Dieses Land des Lächelns sollte der Welt
finsterster Terrorstaat sein?
Drei Tage später sind wir in Isfahan,
einer märchenhaften Stadt voll mittelalterlicher Prachtbauten, uralter Basare
und romantischer Parkanlagen. Am Imamplatz sitzen wir
zusammen mit Ali, einem 22-jährigen Geschichtsstudenten. Er trägt Jeans,
T-Shirt und modische Sneakers. Ali bekennt sich zur grünen Protestbewegung. Das
Mullah-Regime hält er für unzeitgemäß und repressiv. „Das ist so, wie wenn ihr
von Kardinalen regiert würdet“, sagt er. Wegen umstürzlerischer Umtriebe hat
man ihn vor einem Jahr zwei Wochen lang ins Gefängnis gesteckt. „Die Iraner
sehnen sich nach echter Demokratie“, flüstert er. „Aber niemand will nach dem
Irak-Desaster vom Westen befreit werden.“
Wer Iran notfalls angreifen will - und
wer nicht
In der Nuklearfrage gibt er der
iranischen Führung Recht – wie alle, die wir treffen. Niemand im Iran wolle
Nuklearwaffen. Selbst die Mullahs nicht. Allerdings wollten alle Iraner das
Recht auf friedliche Nutzung der Nukleartechnologie – wie jeder Staat der Welt.
Das sei nationaler Konsens.
Den Nachmittag verbringen wir mit Ali
auf der mittelalterlichen, steinernen 33-Bogen-Brücke. Dort treffen sich um
diese Zeit Tausende Jugendliche. Immer wieder werden wir angesprochen und zu
irgendetwas eingeladen. In kaum einem Land der Welt flirten die Mädchen
fröhlicher als im Iran. „Kein Wunder, dass die Mullahs verlangen, dass sie
wenigstens ihre Haare bedecken“, sagt Frédéric. Der Nachmittag währt bis tief
in die Nacht. Bei iranischer und westlicher Musik und einem Picknick, weit
außerhalb von Isfahan. Iraner feiern gerne.
In der geheimnisumwitterten heiligen
Stadt Ghom, dort, wo Khomeini lehrte und zum Sturz
des Schahs aufrief, treffen wir Ajatollah Abbas Ka’bi.
Er ist Mitglied des mächtigen Expertenrats, das den Revolutionsführer wählt und
überwacht. Wir sprechen über die von Irans geistlichem Führer Ali Chamenei
erlassenen Fatwas, jene viel zitierten, verbindlichen Religionsgutachten zur
Nuklearfrage. Darin hat der mächtigste Mann des Iran Nuklearwaffen als
unvereinbar mit dem Koran erklärt, weil sie keinen Unterschied zwischen
Soldaten und Zivilisten machten. Frédéric fragt, ob eine veränderte
Bedrohungslage zu einer Änderung der Fatwas führen könne.
Ajatollah Abbas Ka’bi
erklärt lächelnd, dass das bei diesen Fatwas unmöglich sei. Atomwaffen würden
immer Zivilisten töten, und das werde der Koran immer verbieten. Kein
Religions- oder Revolutionsführer habe die Macht, das zu ändern.
Ein rationaler Akteur
Abbas Ka’bi
wehrt sich gegen die Unterstellung, sein Land habe Kriegsabsichten. Seit 150
Jahren habe der Iran kein Land angegriffen, anders als die USA. Er sei jedoch
mehrfach überfallen worden, zuletzt 1980 von Saddam Hussein mit Unterstützung
der USA. Dass der Iran seine Friedfertigkeit nun ausgerechnet gegenüber den USA
und Israel beweisen solle, stelle die Dinge auf den Kopf. Die USA wüssten durch
ihre Geheimdienste, dass der Iran keine Nuklearwaffen wolle. „Anders als manche
westliche Politiker schalten wir in kritischen Situationen unseren Verstand
nicht aus“, sagt Abbas Ka’bi.
General Martin Dempsey, Chef der
US-Streitkräfte, scheint das ähnlich zu sehen. Im Februar erklärte er: „Wir
glauben, dass der Iran ein rationaler Akteur ist und nicht beschlossen hat,
Nuklearwaffen herzustellen.“ Selbst Meir Dagan, früherer Chef des israelischen
Auslandsgeheimdienstes Mossad, betont, dass Irans Präsident Mahmud
Ahmadinedschad in der Nuklearfrage rational handele. Den Iran jetzt zu
bombardieren, sei die „dümmste Idee, die er je gehört habe“.
Für den Iran haben Nuklearwaffen in der
Tat keinen wirklichen Sinn. Das Land, dessen Militärhaushalt ein Prozent des
amerikanischen beträgt, ist eingekreist von Dutzenden amerikanischen
Stützpunkten. Es liegt in der Reichweite von mehr als tausend strategischen
Atomgefechtsköpfen der USA und mehreren hundert Gefechtsköpfen Israels. Das
kleine Einmaleins der Nuklearstrategie gälte für den Iran ganz besonders: Wer
als Erster schießt, stirbt als zweiter. Die USA könnten mit ihren Atomwaffen
rein rechnerisch jeden der 75 Millionen Iraner mehr als hundert Mal zu Asche verbrennen.
Bei diesen Kräfteverhältnissen ist eine Handvoll Atomwaffen nicht sehr
abschreckend.
Vieles spricht dafür, dass das
„iranische Nuklearproblem“ ein Vorwand ist, um den Iran zu isolieren und in die
Knie zu zwingen. Dass es in Wahrheit um die Vorherrschaft in der ölreichen
Region geht. Der Iran ist zum Ärger der USA der eigentliche Gewinner des
Irakkriegs, ohne daran teilgenommen zu haben. Seither erstreckt sich der
iranische Einfluss über den Irak, Syrien, Libanon bis tief in die schiitischen
Gebiete Saudi-Arabiens und Bahrains hinein.
Diesen Machtzuwachs wollen die USA
rückgängig machen und den Iran durch Druck, Drohung und Gewalt wieder zu einem
linientreuen Verbündeten machen. Wie zu Zeiten des CIA-Schützlings Schah Reza Pahlevi, dessen Nuklearpläne der Westen stets bereitwillig
unterstützte.
Daneben geht es den USA im Mittleren Osten immer auch um die Stabilisierung
Israels. Die arabische Revolution hat die Region unberechenbar gemacht. Jeder
israelische Politiker muss sich Sorgen um die Zukunft seines Landes machen.
Angesichts der provokativen Rhetorik
Ahmadinedschads kann man die traumatischen Ängste vieler Israelis verstehen.
Der Iran betreibt gegenüber Israel eine offen feindselige Politik.
Ahmadinedschad hat dies am 26. Oktober 2005 mit seiner berüchtigten Aussage
unterstrichen, so wie die „Regimes“ des Schah, der Sowjetunion und Saddams
müsse auch „das Regime, das Jerusalem besetzt hält, aus den Annalen der
Geschichte getilgt werden“.
Zwar zeigt diese amtliche Übersetzung
des Deutschen Bundestags, dass Ahmadinedschad nicht erklärt hat, Israel müsse
„von der Landkarte getilgt werden“. Israels stellvertretender Ministerpräsident
Dan Meridor hat dies vor wenigen Tagen ausdrücklich
bestätigt. Allerdings ist auch die Äußerung, „das Besatzungsregime von
Jerusalem“ – nicht Israel – müsse „Geschichte werden“, aggressiv und
feindselig.
Doch Feindseligkeit ist kein
Kriegsgrund. Wenn die Forderung nach Regime-Wechseln Kriegsgrund wäre, dürfte
man die USA ständig angreifen. Die US-Politik ist seit Jahrzehnten weltweit auf
Regime-Wechsel ausgerichtet. Kuba, Irak, Nordkorea, Libyen, Syrien und der Iran
sind nur einige Beispiele.
Durch Militärschläge werden die USA im
Iran allerdings nichts erreichen. Der Irankonflikt ist nur durch Verhandlungen
auf oberster Regierungsebene lösbar. Doch seit über 30 Jahren reden die
Regierungen beider Länder nicht mehr miteinander. Nur einen unverbindlichen
Briefverkehr zwischen Obama und Chamenei gibt es. Selbst wenn Ahmadinedschad
zur UN-Vollversammlung nach New York reist, kommt es nie zu Gesprächen mit der
US-Regierung. Obwohl Irans Führung ihre Bereitschaft hierzu auf mehreren
Kanälen signalisiert hatte.
Zivilcourage ist gefragt
Der frühere US-Präsident Ronald Reagan
oder Willy Brandt waren sich nie zu schade, Herrscher des damaligen „Reichs des
Bösen“ zu treffen. Doch die US-Administration hält ein Gespräch mit
Ahmadinedschad für „politischen Selbstmord“. Welch
ein politisches „Meisterwerk“, Gegner so zu dämonisieren, dass
man nicht mehr mit ihnen sprechen kann!
Der ägyptische Präsident Anwar Sadat hatte da mehr
Zivilcourage. Er setzte sich 1977 ins Flugzeug und flog zum damaligen
israelischen Regierungschef Menachem Begin, einem früheren „zionistischen
Terroristen“. Die beiden schafften einen historischen Frieden.
Müsste nicht gerade Netanjahu die Größe zu einem derartigen Schritt haben? Weil
vielleicht gerade Hardliner die große Lösung, den „Big Deal“, schaffen könnten?
Welch ein Raunen und Staunen, welch eine Welle der
Hilfsbereitschaft ginge durch die Welt, wenn Netanjahu diesen Schritt wagte!
Angriffsdrohungen und erst recht
Militärschläge sind völkerrechtswidrig. Die deutsche Unterstützung eines
Angriffs widerspräche Artikel 26 unseres Grundgesetzes und wäre nach Paragraf
80 des Strafgesetzbuches strafbar. Die lockere Art, mit der westliche und
israelische Politiker völkerrechts- und verfassungswidrige Pläne in Betracht
ziehen, zeigt, dass ihnen die rechtlichen und moralischen Maßstäbe abhanden gekommen sind.
Auch dass der Westen im Iran- wie im
Syrienkonflikt mit dem Feuer spielt, scheint manchem nicht klar zu sein. Beide
Länder könnten bei militärischen Angriffen zurückschlagen und einen
Flächenbrand auslösen. Wenn der Mittlere Osten in Flammen steht, könnten auch
bei uns die Lichter ausgehen. Die westlichen Chaosstrategen, die schon im Irak-
und Afghanistankrieg so kläglich gescheitert sind, scheint das nicht
anzufechten. Einen funktionierenden strategischen Kompass haben sie schon lange
nicht mehr.
Am letzten Abend besuchen wir mit Ciamak Moresadegh die Yusef-Abad-Synagoge in Teheran.
Der Gemeindesaal ist brechend voll, wir feiern mit 400 jüdischen Iranern den Arwit Schel Schabbat,
den Beginn des Schabbat-Festes. Donnernd singen die
Männer ihr hebräisches „Lecha Dodi“,
das Lied zur Begrüßung des Schabbat. Für Frédéric und
mich ein fast surreales Erlebnis – Gottesdienst in Teheran mit jüdischen Iranern!
Moresadegh fährt uns ins Hotel. Er hofft, dass die
Nukleargespräche mit dem Westen doch noch zu friedlichen Ergebnissen führen
werden. West und Ost seien aufeinander angewiesen. Wenn der Iran allerdings
angegriffen werde, werde er seine iranische Heimat selbstverständlich
verteidigen. Gegen jeden Feind, egal woher er komme.