Die grüne Protestbewegung lebt

Von Christiane Hoffmann Sie lassen sich nicht zum Schweigen bringen. Tausende Iraner riefen am Montag auf den Straßen wieder ihr "Tod dem Diktator!" -  trotz aller Drohungen, Einschüchterungsversuche und massiver Repressionen. Millionen waren es im Sommer gewesen, die gegen Fälschungen bei der Präsidentenwahl demonstrierten, ihrer Frustration nach vier Jahren Ahmadineschad Ausdruck verliehen, den Wandel einforderten, für den sie gestimmt hatten. "Wir sind viele!" war die überraschte Erkenntnis. Aber wie viele sind es in dieser grünen Bewegung, die innerhalb weniger Wochen entstand? Ist die iranische Gesellschaft, die modernste im Nahen und Mittleren Osten, wirklich bereit für eine säkulare und demokratische politische Ordnung? Oder verkennt der westliche Blick, fixiert auf eine dünne städtische Oberschicht, dass die meisten Iraner, vor allem die ländliche Bevölkerung, in Wirklichkeit rückständig, religiös und konservativ sind?Alle samtenen Revolutionen von Leipzig bis Tiflis sind in den Städtengemacht worden. In Iran leben mehr als zwei Drittel der Bevölkerung inStädten, ihr Anteil ist damit etwas höher als in Japan, ein Drittelhöher als in Ägypten und dreimal so hoch wie in Afghanistan. Allein derGroßraum Teheran - eine der sieben Millionenstädte des Landes - zähltmehr als zwölf Millionen Einwohner. Auf der Straße demonstriert vorallem die urbane Jugend, jene stärkste Bevölkerungsgruppe des Landes,die sich der Fruchtbarkeitspropaganda nach der islamischen Revolution1979 und der Bevölkerungsexplosion in den achtziger Jahren verdankt. Essind die heute 20 bis 35 Jahre alten Männer und Frauen, aufgewachsen inder nachrevolutionären Atmosphäre und der Zeit des Krieges gegen denIrak. Sie sind eine durchaus politische Generation, die noch dieStrahlkraft der revolutionären Mythen kennt, bevor sie zur entleertenPropaganda wurden. Ihre revolutionäre Erziehung richten sie jetzt gegendas islamische System. Mit Bedacht vergleicht die Opposition dieVolksmilizen der Basidschi, die heute gegen die Demonstranten vorgehen,mit der Knüppelpolizei des Schahs.Zugleich kämpft das System gegen die Saat des eigenenFortschrittsanspruchs, der sich im Ausbau des Bildungssystemsniederschlug. Viele der jungen Leute sind gebildet, über Internet undSatellitenfernsehen mit der Welt verbunden. Sie sind verwirrt durch die Widersprüche zwischen der offiziellen Moral und der fortschreitenden Modernisierung der Gesellschaft, zynisch geworden durch die allgegenwärtigen Lügen. Sie sind frustriert - nicht von ungefähr haben Metaphern der Explosion in Teheran Konjunktur. Je jünger die Demonstranten, desto frustrierter, desto stärker eine depressive Leere, hinter der Aggression lauert. Viele wissen nur, was sie nicht wollen. Während frühere Regierungen versuchten, die Bevölkerungsteile - urban oder ländlich, säkular oder konservativ-religiös - zu integrieren, ist Ahmadineschad auf Konfrontation gegangen. In den vergangenen vier Jahren hat sich die Klerusherrschaft zu einem vulgär-islamischen Militärregime gewandelt, das rücksichtslos auf die eigene Klientel setzt: In erster Linie sind das die Revolutionsgarden, die dank der Scheinprivatisierungen auch über ein gewaltiges Wirtschaftsimperium gebieten, und die ländlichen Unterschichten. Der religiöse Führer Ajatollah Chamenei hat die Gesellschaft ganz offiziell zum Schlachtfeld erklärt, auf dem der angebliche "weiche Krieg" des Westens abgewehrt wird. Zunächst mit Verhaftungen und Schauprozessen, aber auch mit weiter verschärfter Pressezensur, einer neuen Internetaufsicht, Propagandaeinheiten der Basidschi an den Schulen und einer Säuberung der Professorenschaft an den Universitäten. Auch innerhalb des Machtapparats ist seit dem Sommer die Konsenskultur aufgekündigt, in der die unterschiedlichen Strömungen ihr "Leben und leben lassen" praktizieren konnten. Reformpolitiker landeten in großer Zahl im Gefängnis, und der einst fast allmächtige Rafsandschani, verdienter Revolutionär der ersten Stunde, droht den Machtkampf gegen Ahmadineschad zu verlieren, der ihn in seinem populistischen Antikorruptionsfuror zur Zielscheibe gemacht hat. Seit Monaten hat Rafsandschani nicht mehr das Freitagsgebet gehalten, einer seiner Söhne hat sich bereits ins Ausland abgesetzt. Derweil ist der Präsident dabei, sein bisheriges Motto "Das Ölgeld auf die Tische der Leute" abzuwandeln. Er plant eine Umverteilung zugunsten der eigenen politischen Klientel: auf die Tische meiner Leute. Die Subventionen von Benzin und Lebensmitteln, die bisher allen Konsumenten zugutekommen, sollen durch direkte Subventionen Bedürftiger ersetzt werden. Nichts spricht dafür, dass die Finanzverwaltung in der Lage sein könnte, eine transparente Verteilung zu bewerkstelligen. Wo die 300 Milliarden Dollar Öleinnahmen der vergangenen Jahre geblieben sind, fragt das Parlament noch vergebens. Oppositionsführer Mussawi setzt dem "Wir werden euch vernichten" der Regierung ein "Niemand wird verlieren" entgegen. Aber die Forderungen der Demonstranten werden radikaler. Am Montag brannten Porträts von Chamenei und sogar von Revolutionsführer Chomeini. Text: F.A.Z., 09.12.2009, Nr. 286 / Seite 1

 
Ø      Nr. 288/09
 Datum: 09.12.2009
 Tag der Menschenrechte: Sonntagsreden reichen nicht aus
 -------------------------------------------------------
 Anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte am 10. Dezember
 erklärt Claudia Roth, Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
 „Menschenrechte brauchen keine Sonntagsreden, Menschenrechte brauchen entschiedenes Handeln. Menschenrechte müssen immer gelten, jeden Tag und für ausnahmslos jede Person. Sie sind universell und unteilbar. Ihre Garantie ist unverzichtbar für die Stabilität und Prosperität von offenen Gesellschaften. Dennoch sind überall auf der Welt Menschenrechtsverletzungen Realität.
 Der Internationale Tag der Menschenrechte soll den Blick auf bedrohte Menschen überall auf der Welt richten.
 Ein aktuelles Beispiel ist Parastou Forouhar. Sie ist eine international anerkannte iranische Künstlerin, die in Deutschland lebt. Jährlich fährt sie nach Iran, um Gedenkveranstaltung für ihre 1998 vom iranischen Geheimdienst ermordeten Eltern zu organisieren. An diesen Bemühungen hält sie trotz aller Schikanen und Behinderungen von Seiten der iranischen Machthaber fest.
 Parastaou Forouhar hält damit die Erinnerung an die Opfer der sogenannten Kettenmorde gegen iranische Intellektuelle wach. Sie kämpft mutig für Gerechtigkeit und dafür, dass die Drahtzieher der Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.
 Vor wenigen Tagen haben Sicherheitskräfte am Teheraner Flughafen ihren Reisepass bei der Ausreise eingezogen, weil eine Anklage gegen sie vorliege. Diese Ausreisesperre ist klar politisch motiviert und daher inakzeptabel. Parastou Forouhar muss ausreisen dürfen. Der 10. Dezember ist gerade auch ein Tag für mutige Menschen wie sie.
 Ich fordere die Bundesregierung auf, aktiv zu werden und sich für Frau Forouhar einzusetzen. Es wäre, sowohl im Alleingang als auch gemeinsam mit allen EU-Partnern, ein dringend notwendiges Zeichen für die Menschenrechte.“

 Verdächtiges Gedenken
 Die Künstlerin Parastou Forouhar wird in Iran festgehalten
 "Wenn ich den Mordfall nicht verfolgen würde, hätte ich das Gefühl, meine Eltern noch einmal zu verlieren." Seit Jahren setzt sich die bei Frankfurt lebende iranische Künstlerin Parastou Forouhar dafür ein, dass der Mord an ihren Eltern geahndet wird. Sie waren am 21. November 1998 in Teheran vom Geheimdienst umgebracht worden. Jetzt ist Forouhar am
 Teheraner Flughafen an der Ausreise gehindert worden. Die Behörden zogen ihren Pass ein und erklärten ihr, das Informationsministerium habe Anklage gegen sie erhoben. Hintergrund sind vermutlich die Interviews, die Forouhar in den letzten Wochen gegeben hat.
 Parastou Forouhar reist seit 1998 einmal jährlich nach Iran, um eine Gedenkveranstaltung für ihre Eltern zu organisieren. Ihre Eltern, zwei Aktivisten der "Partei des iranischen Volkes", waren die ersten Opfer einer politisch motivierten Mordserie. Neben ihnen wurden im Herbst 1998 auch die Schriftsteller Mohammad Mochtari und Dschafar Puyandeh umgebracht. Da man die Autoren, die sich für die Wiederzulassung des Schriftstellerverbandes eingesetzt hatten, erdrosselt im Straßengraben gefunden hatte, gingen alle Morde als "die Kettenmorde" in die iranische Geschichte ein.
 Dariush Forouhar und seine Frau Parwaneh hatten sich schon unter dem Schah und dann in der Islamischen Republik für Demokratie eingesetzt. Sie forderten die Trennung von Religion und Staat, gehörten zum säkular-nationalen Spektrum der Opposition. Der Mord an den Forouhars glich einer Hinrichtung. Parwaneh Forouhar wurde mit über zwanzig Messerstichen in der Brust aufgefunden. In den Tagen nach dem Mord ging das Grauen um in Teheran. Jeder Oppositionelle fürchtete, er könnte der Nächste sein. Es gab Gerüchte von Todeslisten mit Namen von Regimekritikern. Darunter waren Reformtheologen, Studentenführer und Frauenrechtlerinnen.
 Die Morde sollten das Vertrauen in den reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami erschüttern, denn dieser hatte Rechtssicherheit versprochen, und sie sollten allzu aufsässigen Reformern eine Warnung sein. Doch gerade ihnen war zu verdanken, dass der Geheimdienst, der gegen den Präsidenten arbeitete, zugeben musste, die Morde in Auftrag gegeben zu haben. Die Reformregierung setzte den Rücktritt des Geheimdienstministers und die Verhaftung einiger Agenten durch. Sehr schnell waren sie jedoch wieder auf freiem Fuß und fanden sich
 diejenigen hinter Gittern wieder, die maßgeblich zur Aufklärung der Kettenmorde beigetragen hatten. Akbar Ganji beispielsweise, der von 2000 bis 2006 inhaftiert war und erst nach einem siebzigtägigen Hungerstreik wieder frei kam. Nicht belangt wurden die Hintermänner der Kettenmorde. Deshalb kämpft Parastou Forouhar bis zum heutigen Tag: jedes Jahr vor Gericht in Iran und vor allem gegen das Vergessen. Sie versucht jedes Jahr, am Jahrestag der Ermordung eine Gedenkveranstaltung zu organisieren, die vermutlich Zehntausende besuchten, wenn die Behörden es nicht verhindern würden. Nicht nur waren die Forouhars besonders beliebt, die Bevölkerung solidarisiert sich schon aus religiösen Motiven mit den Hinterbliebenen unschuldiger Opfer.
 Doch Forouhar darf keine Räume anmieten, und die Straßen rund um ihr Elternhaus werden weitläufig abgeriegelt. In diesem Jahr war eine für die sogenannte Grüne Bewegung, die sich im Anschluss an die Wahlfälschung vom Sommer formiert hat, typische Form des Gedenkens über das Internet verbreitet worden: Man verharrt für zehn Minuten im Andenken an die Opfer der politischen Morde, egal wo man ist: bei der Arbeit, auf der Straße.
 Auch in der Kunst Parastou Forouhars sind die Morde allgegenwärtig. "Schuhe ausziehen" heißt beispielsweise eine Bilderserie. Eindrucksvolle Bilder, die Ohnmacht in Kunst bannen. Forouhar und ihre Anwältin, die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, sind hier zu sehen, zwei Frauen, gedemütigt, aber standhaft vor einem allmächtigen Justizapparat. Es ist ein Kampf, der mehr als nur Zähigkeit erfordert. Forouhar erzählt, wie dieser Bilderzyklus entstand: Sie wollte Akteneinsicht, die ihr schließlich, nach monatelangem Ringen, gewährt wurde. Zehn Tage bekam sie Zeit zum Lesen - in einem Raum sitzend mit den Mördern. Die
 Justizbeamten hielten es nicht für nötig, die Mörder und die Tochter der Opfer räumlich zu trennen. So reichten die Täter die Akten, die sie gerade gelesen hatten, an Forouhar weiter.
Einmal kam der Richter auf Forouhar mit einem Vorschlag zu: "Wenn du auf die Todesstrafe für die Mörder verzichtest, kannst du von ihnen ein Blutgeld verlangen." Nach islamischem Recht entgeht der Mörder der Todesstrafe, wenn die nächsten Verwandten eine finanzielle Kompensation, das sogenannte Blutgeld, akzeptieren. "Du bekommst diese Summe für
deinen Vater und die Hälfte davon für deine Mutter", sagte der Richter.Nach einer konservativen Deutung des islamischen Rechts ist das Blutgeldfür einen Mann doppelt so hoch ist wie das für eine Frau. "Die Hälfte davon für deine Mutter", dieser Satz klingt Forouhar bis heute in den Ohren. Die Erinnerung an ihre starke Mutter stieg in ihr auf, die zeit
ihres Lebens für Demokratie und Freiheit gekämpft hatte und dafür, dassihre Kinder einmal in einem besseren Iran leben würden. "Abgesehen davon, dass man keinen Menschen mit Geld aufwiegen kann", sagt ParastouForouhar, "war dieser Satz einfach furchtbar: die Hälfte davon für deine Mutter."
Deshalb ist Forouhar auch in diesem Jahr nach Iran geflogen: Damit ihrer beider gedacht wird. Sie wusste, dass es gerade in diesem Jahr gefährlich sein würde. Doch Parastou Forouhar ist nicht der Typ, der zurücksteckt. Und sie führt den Kampf ihrer Eltern auf ihre Weise fort - mit künstlerischen Mitteln. In diesem Jahr hatte sie eine Ausstellung
organisiert. Ein Video davon, das bei Youtube eingestellt ist, zeigt unter der Decke schwebende Ballons.
Forouhar erläutert im Interview, dass sie damit die beiden Gegenpole von Sicherheit und Unsicherheit zeigen will: Die Luftballons stehen für die Sicherheit und Leichtigkeit, die sie in der Kindheit mit ihren Eltern verspürt hat. Doch auf den Luftballons sind typisierte ornamentale Folterszenen abgebildet. Erstaunlicherweise konnte diese Ausstellung stattfinden, anders als eine andere, sechs Jahre zuvor, als die Galerie kurz vor der Eröffnung einen Anruf erhielt und von der Eröffnung abgeraten wurde: "Und wer sich in der politischen Kultur Irans auskennt,  weiß, was damit gemeint ist, wenn einem geraten wird, etwas besser nicht  zu tun." Deshalb habe sie damals die Ausstellung mit Rahmen ohne Bilder  eröffnet. Im Interview sagt sie: "Man kann in Iran viel aussagen. Vor  allem mit Rahmen, die keine Bilder enthalten."
 Bislang schien es so, dass Iraner, die im Ausland lebten und sich vornehmlich im Ausland äußerten, geschützter waren. Doch diese Art von Schutz gibt es offensichtlich nicht mehr. Deshalb besteht auch angesichts der Schauprozesse, die in Iran in den letzten Monaten  stattgefunden haben, Anlass zu größter Sorge. KATAJUN AMIRPUR
 Quelle: Süddeutsche Zeitung
 Nr.284, Mittwoch, den 09. Dezember 2009 , Seite 12