http://www.boell.de/weltweit/nahost/naher-mittlerer-osten-Wahlen_in_Iran_Entwicklungen_und_aktueller_Stand_von_Minderheiten_Gruene_Bewegung_9403.html
Ein Jahr nach den Wahlen
Entwicklungen und aktueller Stand von Minderheiten im Iran
Von Ali Mahdjoubi
10. Juni 2010
Die im Vorfeld der iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 entstandene Grüne
Welle wurde erst im Zuge der Proteste gegen die offensichtlich massive
Wahlfälschung und die undiplomatisch-rücksichtlose Durchsetzung eines
vorbestimmten Ergebnisses auf eine harte Probe gestellt. Die dezentrale und
über zahlreiche kleine Netzwerke koordinierte Grüne Bewegung stand zwar
vordergründig vor der Herausforderung, im Abwehrkampf gegen eine
brachial-nackte Gewalt der formellen und informellen Sicherheitskräfte nicht
unterzugehen. Dennoch musste sie auch Erwartungen von Teilen der Bevölkerung
gerecht werden, die eine inhaltliche und programmatische Ausrichtung in vielen
Bürger- und Menschenrechtsfragen hatten. Denn diese konnten bis dahin nicht in
der nötigen Breite als konkrete Forderungen mit einer wahrnehmbaren Eigenständigkeit
und Wertigkeit formuliert und gestellt werden. Dazu gehörten unter anderem die
verfassungsmäßigen Rechte und vielfältige demokratischen Anliegen von
ethnischen und religiösen Minderheiten als unverzichtbaren Akteuren einer
breiten Demokratiebewegung. Der Umgang der Teheraner Machthaber mit den
bekannten religiösen Minderheiten, vor allem den Bahai und Sufis, ist weiterhin
besorgniserregend. Sie sind mit einer brutalen Unterdrückungsmaschinerie konfrontiert,
die kein Maß an Härte und Verlogenheit kennt. Auch christliche Minderheiten
agieren in einem Klima des Generalverdachts, der Angst und der ständiger
Kontrolle. Unter besonderer Beobachtung stehen die zum Christentum
konvertierten Iraner. Sie gelten alle als Gefährder der nationalen Sicherheit
und der religiösen Einheit des Landes. Nicht minder prekär ist die Lage von
sexuellen Minderheiten und GLBT-Angehörigen. Sie waren schon zuvor das Objekt
von Schikanen und Willkür der Sicherheitskräfte. Nun werden sie mit neuen
politischen Vorwürfen als Aktivisten unter dem Dach der Grünen Bewegung
verfolgt und bestraft. In diesem
Beitrag werden vorrangig die Lage, das Zusammenwirken und die Wechselwirkung
der ethnischen Minderheiten im Kontext der Grünen Bewegung kurz unter die Lupe
genommen.
Das Spektakulärste, was ethnischen Minderheiten im Iran mehr Aufmerksamkeit und
Raum verschafft hat, war die Festnahme von Abdol-Malek Rigi, dem Anführer der
Gruppe „Dschondollah“. Es war einer der groß gefeierten und medial breit
inszenierten Erfolge der iranischen Sicherheitsbehörden in den vergangenen
Monaten. Zwar sind Beobachtern viele Widersprüche und Ungereimtheiten in den
Verlautbarungen der iranischen Verantwortlichen nicht verborgen geblieben,
jedoch rückte dadurch, neben terroristischen Umtrieben und Aktivitäten dieser
Gruppe, vor allem die Lage der sunnitischen Belutschen als ethnische und religiöse
Minderheit in den Vordergrund. Die Gruppe „Dschondollah“ hat den
Schwerpunkt ihrer militärisch-terroristischen Aktivitäten in der südöstlichen
Provinz des Iran: Sistan-Belutschestan. Die Provinz, mit enormen politischen
und soziökonomischen Altlasten ist das Armenhaus des Landes. Hinzu gekommen
sind neue Probleme durch eine offensiv religiöse Diskriminierung und
Bevormundung durch die Zentralmacht der Islamischen Republik. Die Machthaber in
Teheran predigen unermüdlich die Einheit und Brüderschaft aller Muslime, gehen
aber, rhetorisch wie praktisch. aggressiv diskriminierend und
repressiv-gewaltsam mit der sunnitischen Geistlichkeit in Belutschistan und
anderen sunnitisch besiedelten Regionen um. Rücksichtnahme auf kulturelle
Rechte und religiöse Gefühle von Belutschen oder realistische Aufbauprogramme
zur Reduzierung des Wohlstandsgefälles zwischen dieser Provinz und anderen
Regionen des Landes gibt es in der iranischen Innenpolitik nicht.
Nicht anders ist die Lage der anderen ethnischen Minderheiten. Die Turkmenen,
eine turksprachige, mehrheitlich sunnitische Volksgruppe im Nordosten des
Landes, hat die Islamische Republik bereits zu Beginn ihrer Herrschaft
nachhaltig unterdrückt, indem sie die links orientierte Spitze einer breiten
Bewegung für mehr kulturelle Rechte von Turkmenen vor etwa 30 Jahren physisch
und politisch buchstäblich vernichtete. Nun regt sich eine leise und sich
rücksichtsvoll in die Grüne Bewegung integrierende Wiederbelebung dessen, was
damals ein jähes blutiges Ende gefunden hat: die Umsetzung und Einhaltung von
verfassungsmäßigen Rechten der ethnischen Minderheiten im Iran. Die
ausschlaggebenden Akteure sind diesmal nicht die landlosen Bauern mit einer
kleinen linken Elite an der Spitze, sondern eine gut vernetzte urbane Jugend
und Studierende, die teilweise in anderen Großstädten des Landes politisch aktiv
sind und dem Anliegen dieser Minderheiten in anderen gesellschaftspolitischen
Foren Gehör verschaffen.
Die Situation in den streifenweise dicht besiedelten arabischen Gebieten im
Südwesten hat große Ähnlichkeiten mit der der turkmenischen Regionen. Der
Ölreichtum der Provinz Khoozestan, die Nachbarschaft mit den nicht immer
bequemen arabischen Staaten und einige historisch bedingte Sensibilitäten
Teherans gegenüber der arabischsprachigen Minderheit tragen dazu bei, den
demokratischen Anliegen der arabischen Minderheit mit übertriebenen
sicherheitspolitischen Maßnahmen zu begegnen. Diese Anliegen werden von zwei
unterschiedlichen Kreisen mit Nachdruck unterstützt: entweder von
panarabistischen Kreisen, die in der Konsequenz separatistisch und in der
Praxis militant-terroristisch agieren oder von einer kleinen Schicht aus dem
städtischen Bildungsbürgertum, die großes Interesse am Erfolg der Grünen
Bewegung hat und sich eher in diesem Kontext zu Wort meldet. Die arabische Bevölkerung
in den südwestlichen Provinzen Irans ist religiös uneinheitlich. Die Islamische
Republik hat zu Beginn und vor allem in der heißen Phase des 8-jährigen Kriegs
mit Saddams Irak die schiitischen Araber gegen die sunnitischen zu
instrumentalisieren versucht. Heute sind vor allem die kulturelle
Benachteiligung und die daraus entwachsende Diskriminierung die hauptsächlichen
Beweggründe der Aktivisten für demokratische Rechte der arabischen Minderheit.
In Kurdistan bzw. in den kurdischen Provinzen können die Aktivisten für Minderheitenrechte
auf eine breite Unterstützung in der kurdischen Bevölkerung setzen. Das hat auch viel mit der Geschichte und den historischen
Traditionen zu tun, auf die die Kurden im Kampf für Autonomie und föderale
Strukturen im Iran zurückblicken. Die intellektuelle und bildungsbürgerliche
Elite der Provinz versucht einen offenen Schulterschluss mit der Grünen Bewegung.
Ihre Stellungnahmen finden auch über die Provinzmedien hinaus ein breites Echo.
Dennoch nehmen die Schlagzeilen über die bewaffneten Auseinandersetzungen der iranischen
Sicherheitskräfte mit der PJAK (dem iranischen Ableger der türkischen PKK) mehr
Raum in den iranischen und den westlichen Medien. Die Aktivitäten der PJAK,
sind militärischer Natur und können nur als terroristisch bezeichnet werden.
Sie wecken zwar mehr mediale Aufmerksamkeit, haben aber keinen Bezug zur
aktuellen Demokratie- und Bürgerrechtsbewegung im Iran. Die PJAK ist ein
Exportgut aus einer mit allerlei Personenkult und sektenhaften Allüren
gespickten Welt von Öcalan-Anhängern im kurdischen Exil, die nicht nur der
iranischen Bevölkerung sondern auch der kurdischen Bevölkerung im Iran fremd
ist. Alle politischen Parteien in den kurdischen Gebieten des Iran haben zwar klare
und weitergehende Forderungen auf dem Feld der Minderheitenpolitik, agieren
aber pragmatisch und in dem Bewusstsein, dass die Grüne Bewegung eine reale
Chance bietet, die ersehnten Rechte auf einer breiten demokratischen Basis
besser und mit weniger Verlust durchsetzen zu können. Nach der vor kurzem
vollstreckten Hinrichtung von fünf politischen Häftlingen, davon vier
kurdischstämmig, gab es einen Generalstreik in vielen kurdischen Städten. Dies
unterstrich den gewaltfreien Charakter der Proteste im Kontext der iranweiten Demokratie-
und Bürgerrechtsbewegung deutlich. Dass die PJAK sich mit neuen
Terroranschlägen als Hauptakteur in den kurdischen Gebieten des Iran zu
profilieren versucht hat, kam nur der Propagandamaschinerie der Teheraner
Machthaber zugute. Innenpolitisch nutzen die Aktivitäten von PJAK und Rigis
Dschondollah vor allem der Regierung von Ahmadinejad und den Ton angebenden
Sicherheitskräften. Denn terroristische Aktivitäten kommen zwar als radikale
Protestformen daher, sie schwächen aber die Geschlossenheit der Reihen im
urbanen Milieu, den gewaltfreien Ansatz im Kampf und den breiten Konsens für
demokratische Rechte. Historisch bedingt, gibt es einen intensiven kulturellen,
politischen und wirtschaftlichen Austausch zwischen den iranischen, türkischen
und irakischen Kurden, der bisher alle politisch-militärischen Barrieren überleben
konnte. Allen Befürchtungen der Leugner der Existenz von ethnischen Minderheiten
zum Trotz, hat dieser Austausch nicht dazu geführt, den gemeinsamen Kampf für
Demokratie und Bürgerrechte mit dem Fokus auf das ganze Land aufzugeben und nur
eine lokale Agenda zu verfolgen.
Gewisse Parallelen mit den kurdischen Provinzen weisen auch die Provinzen mit
einer aserbaidschanischen Mehrheit und in den aserbaidschanischen Enklaven im
Zentraliran, Nordosten und Südwesten des Landes auf. Es fehlt aber an einer
ähnlich breiten Basis wie in den kurdischen Gebieten des Iran, die sich die Forderungen
für mehr Autonomie und kulturelle Selbstbestimmung zueigen machen würde. Als größte
ethnische und sprachliche Minderheit haben die Aserbaidschaner in Iran einen
Sonderstatus. Sie haben immer eine große und aktive Rolle in allen
gesellschaftspolitischen Sphären des Iran gespielt und die Geschicke des Landes
wesentlich mitbestimmt. Die überwiegende Mehrheit der politisch aktiven
Bevölkerungsteile trägt hier die Forderungen von einigen kleinen und radikalen
Organisationen nicht mit, die in ihrem politischen Engagement nur auf die
ethnische Identität setzen und nicht nur die Zukunftsfähigkeit und Stärke der
Grünen Bewegung bezweifeln. Manche von ihnen attackieren sogar die allgemeinen
Demokratie- und Bürgerrechtsforderungen und betrachten sie als Vorwand, um so
den ethnischen Minderheiten letzten Endes ihre Rechte vorzuenthalten. Das Ergebnis
ist ein Sektierertum, das diesen Organisationen zwar einen beachtlichen Zulauf
unter den Jugendlichen und „nicht-eigenen“ Bildungsbürgern der Islamischen
Republik verschaffen könnte, aber insgesamt die iranweite Demokratiebewegung
schwächen würde.